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Letterladys #6

Im Juli trafen sich die Letterladys zum 1. Mal in echt und leibhaftig und verbrachten dabei einen zauberhaften Abend mit Blick auf die Rummelsburger Bucht und die Liebesinsel.

Sich in einem Buch zu verlieren
ist wie verreisen.

Im Gespräch öffneten wir unsere derzeitige Leseliste, geprägt von Sommer, Urlaub und wieder erwachter Ausflugslust, gleichgültig ob über Landesgrenzen hinweg oder in die Kunst und Kultur.

Hier die Leseempfehlungen aus dem Gespräch:

So viel Zeit muss sein – Trennlinie

Die Ermordung des Commendatore

Haruki Murakami, DuMont Buchverlag, 2018, 2 Bände

Clubhouse kann verführen. Und zwar nicht nur zum Hören und miteinander ins Gespräch kommen, sondern auch zum Lesen empfohlener Lektüre. So geschehen in diesem Fall.

Ein japanischer Künstler zieht sich nach der Trennung seiner Frau von ihm in das leer stehende Haus des berühmten Malers Tomohiko Amada zurück. Auf dem Dachboden findet er ein Gemälde mit dem Titel „Die Ermordung des Commendatore“.

Die Erzählung ist voller Anspielungen, Symbole und Metaphern. Er dreht sich um die Kunst und die Frage nach der Wechselwirkung von Original und Abbild, Realität und Darstellung. Ein bisschen kryptisch, wie eine Reise mit Rätseln.

 

Über Menschen

Juli Zeh, Luchterhand Verlag, 2020

Eine Frau aus Berlin Kreuzberg zieht aufs Land.

Der Roman erzählt von unserer unmittelbaren Gegenwart, von unseren Befangenheiten, Schwächen und Ängsten, und er erzählt von unseren Stärken, die zum Vorschein kommen, wenn wir uns trauen, Menschen zu sein.

Ein Bemerkenswertes Buch, sehr menschlich, klar gedacht, nicht belehrend oder besserwisserisch und eine hinreißende (vielleicht auch traurige) Geschichte.

 

Im Gespräch über den Roman von Juli Zeh sprachen wir nebenbei über eine Vorgängergeschichte, die hier auch erwähnt werden soll:

 

Was wir nicht haben,
brauchen Sie nicht

Geschichten aus der arschlochfreien Zone, Dieter Moor, rowohlt, 2010

Im Dörfchen Amerika möchten Dieter Moor und seine Frau Sonja ihren Traum vom eigenen Bauernhof verwirklichen. Tatsächlich sind die neue Heimat, die neuen Nachbarn und das neue Leben für allerlei ungeahnte Herausforderungen, komische Missgeschicke und skurrile Situationen gut.

Eine charmante und witzige Liebeserklärung an eine verkannte Region.

 

Der Freund

Sigrid Nunez, Aufbau Verlag, 2020

Eine Frau, die um ihren Freund trauert, ein riesiger Hund – und die berührende Geschichte ihres gemeinsamen Wegs zurück ins Leben.

Es beschreibt auch das aktuelle Leben in New York und nimmt ganz nebenbei den Literaturbetrieb aufs Korn. Eine große Sammlung von Zitaten und gleichzeitig Reflexion über Mensch und Tier, Moral und ihre Fragwürdigkeit.

Es gibt dazu gerade eine Buchbesprechung in der ZDF-Mediathek.

Die Farben des Feuers

Pierre Lemaitre, Verlag Klett-Cotta, 2018

Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs regieren Habgier und Neid in den Straßen von Paris, und so bahnt sich ein Komplott an, um das mächtige Bankimperium Péricourt zu Fall zu bringen. Doch Alleinerbin Madeleine weiß, die Verhältnisse in Europa für sich zu nutzen, und dreht den Spieß kurzerhand um.

In diesem Buch geht es um eine bewundernswerte Frau, menschliche Abgründe, vergnügte Fantasie und historische Genauigkeit.

Ein Schmöker – vielschichtig und spannend.

Denken ist heute überhaupt nicht mehr Mode.

Tagebücher 1940–1945 von Anna Haag, herausgegeben von Jennifer Holleis, Reclam, 2016

Im Mai 1940 beginnt Anna Haag, 52 Jahre alt und Journalistin, ein schonungslos offenes und regimekritisches Tagebuch zu führen, das sie über Jahre im Kohlenkeller versteckt. Sie hört ihren Mitmenschen genau zu – in der Straßenbahn, bei Behördengängen oder in Geschäften. In pointierten Skizzen hält sie fest, was ganz gewöhnliche Deutsche schon während des Zweiten Weltkriegs über die Judenvernichtung und die Verbrechen des NS-Regimes wussten. Sie erzählt mit Ironie und Klarheit von Hamsterfahrten im Stuttgarter Umland, von verbotenen Treffen zum BBC-Hören oder von Wortgefechten mit ihrem Lieblingsgegner, dem regimetreuen Apotheker.

Es ist erschreckend, dass es 70 Jahre brauchte, ehe diese Aufzeichnungen gespickt mit originalen Zeitungsausschnitten erschienen sind. Denn hier wird klar, dass es zu Kriegszeiten keine Möglichkeit gab, die Verbrechen der Zeit hinter Unwissenheit zu verstecken.

Anna Haag versprach sich selbst zum Kriegsende, für Aufklärung und demokratischen Neuaufbau zu sorgen. Das tat sie. Unter anderem, indem sie verantwortlich dafür zeichnet, dass im Grundgesetz der Bundesrepublik das Recht auf Kriegsdienstverweigerung fest verankert wurde.

Obwohl die Aufzeichnungen inzwischen über 75 Jahre her sind, liest sich das Buch flüssig und bewegend. Ich bin beeindruckt von der Klarheit der beschriebenen (Alltags-)Beobachtungen und dem Mut zu sich selbst zu stehen. Dieses Buch ist ein Mutmacher, auch und gerade in der heutigen Zeit.

So viel Zeit muss sein – Letterladys #6 – Die Ermordung des Commendatore
wegschnubbeln – So viel Zeit muss sein – Letterladys #6 – Über Menschen
So viel Zeit muss sein – Letterladys #6 – Der Freund
So viel Zeit muss sein – Letterladys #6 – Die Farben des Feuers
So viel Zeit muss sein – Letterladys #6 – Denken ist heute überhaupt nicht mehr Mode

Wer sich auf dieses Thema einlässt, kommt an folgender Dokumentation nicht vorbei:

 

Hitlers Hofstaat: Gipfel der Macht

zdf-info, Mediathek, verfügbar bis 30. September 2023, in Deutschland

Hitlers innerer Kreis war sein privater Rückzugsraum. Wer dazugehören wollte, musste sich als bedingungslos loyal erweisen. Wer die Gunst des Diktators verlor, wurde aus dem Weg geräumt.

Es gibt auch weitere Dokumentationen zu Hitler. Z.B. „Der Aufstieg“ über seine Fähigkeit ganz persönliche Beziehungen zu knüpfen.

 

Außerdem angesprochen:

Hans Fallada „Wir hatten mal ein Kind“ – eine Erinnerung an vergessene Wörter

Stefan Sagmeister „Beauty“ – über die Wirksamkeit von Schönheit

Gesellschaftssatire „Parasite“ – vor kurzem im Sommerkino der ARD

Andreas Koop „NSCI“ – über die Corporate Identity der Nationalsozialisten