Müßig
Letterladys #11
Die Welt scheint gespalten. Es gibt Menschen, die irgendwie alle Dinge auf die Reihe kriegen. Und es gibt Menschen, die Dinge auf die Reihe kriegen und dabei nichts tun. Eins ist jedenfalls klar, es geht im heutigen Dasein darum, die Dinge des Alltags und alles drumherum geregelt zu kriegen. Wie auch immer …
Da kommt das Sprichwort von Marie von Ebner-Eschenbach sehr trefflich daher:
Man kann viele Dinge kaufen, die unbezahlbar sind.
Denn was ich mir nicht kaufen kann, das ist mit Sicherheit Zeit. Aber Ratgeberliteratur, wie ich meine Zeit besser nutze, sortiere, verwalte, die gibt es Zuhauf. Wir haben uns da etwas angeschaut:
Buchtipp #1
“Dinge geregelt kriegen ohne einen Funken Selbstdisziplin” von Kathrin Passig und Sascha Lobo, rowohlt 2010
Planlos Glücklich: Das Buch für alle, die ihr Leben so organisieren wollen, dass man es nicht ständig organisieren muss.
Das schmutzige Geschirr, die Tabellenkalkulation fürs dritte Quartal oder die ungenutzte Mitgliedschaft im Fitnessclub – überall findet das schlechte Gewissen reichlich Nahrung. Dabei ist es ganz normal, Aufgaben vor sich herzuschieben und nicht ständig effektiv, organisiert und auf Kommando motiviert zu sein.
Wir haben das Buch konsumiert und festgestellt: Es ist der perfekte Ratgeber. Ein Ratgeber für Prokrastinierer, die hier eine hervorragende Anleitung erhalten, mit dem schlechtem Gewissen über nicht erledigte Aufgaben Schluss zu machen. Und ein Ratgeber für Partner von Prokrastrinierern, die im Wesentlichen über die Eigenarten eben jener aufgeklärt werden. Und auch darüber, das diese Lebensform nicht mal eben einfach mit den Worten “Da musst du durch und dir einfach mal Mühe geben” zu heilen ist.
Ein witziges, inspirierendes und sehr tiefgehendes Lehrbuch. Und eine Leseempfehlung für Jedermann-frau.
Buchtipp #2
“Das Buch der hundert Vergnügungen” von Dan Kieran und Tom Hodgkinson
Zauberhaft illustriert von Stephanie F. Scholz, Suhrkamp | Inselverlag 2019
Seit Hunderten von Jahren sind wir von der fixen Idee besessen, dass Spaß eine teure Sache sei. Wir arbeiten und arbeiten bis zur Erschöpfung, damit wir Dinge tun oder kaufen können, die uns Freude machen. Dass die schönsten Dinge im Leben häufig umsonst sind – das zeigt dieses Buch mit erfrischender Leichtigkeit. Tom Hodgkinson und Dan Kieran stellen hundert dieser müßigen Vergnügungen vor, wie etwa „Mit kleinen Kindern spazieren gehen“ oder „Warten, dass der Tee zieht“.
Das Buch der hundert Vergnügungen ist eine charmante Fibel über das leichte, unbeschwerte Leben und das perfekte Geschenk für jeden Müßiggänger.
Quintessenz:
Genuss durch Müßiggang ohne Kosten
= Kopf frei
= Konzentration
Hier schließt sich der Kreis zum Zitat von Marie von Ebner-Eschenbach. Genuss und Müßiggang sind keine Frage des Geldes und letzten Endes unbezahlbar.
Leseprobe:
Erzwungenes Nichtstun ist eine seltene Vergnügung. Diese kurzen Momente im Leben, wenn man sich aus irgendeinem Grund gezwungen sieht, einfach innezuhalten und nachzudenken. Im Wartezimmer zum Beispiel, beim Schlangestehen oder auch bloß, wenn man im Zug sitzt. Darauf zu warten, dass der Tee zieht, ist so ein Moment. Die Zeit reicht nicht, um inzwischen irgendetwas zu „tun“, folglich bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als dazusitzen und zu warten, während Ihnen aus lauter Vorfreude auf das dampfende Gold der Mund wässrig wird. Falls Sie doch versuchen sollten, zwischendurch schnell noch etwas zu erledigen, dann werden Sie unweigerlich zu lange oder nicht lange genug dafür brauchen, sodass der Tee entweder zu stark oder zu schwach wird. Die einzige Methode, die erforderliche Zeit exakt abzuschätzen, besteht darin, sich hinzusetzen, nichts zu tun und den Tee zu beobachten. Nur wenn Sie der Kanne Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenken, werden Sie imstand sein, das voll Aroma des Tees zu genießen, wenn der richtige Moment gekommen ist.
Buchtipp #3
Seit einer gefühlten Ewigkeit steht immer in Blickweite die “Enzyklopädie der Faulheit” auf meinem Klavier. Ein Buch von Wolfgang Schneider, Eichborn-Verlag Berlin 2003
Für Aristoteles ist sie die Schwester der Freiheit, für Dostojewski eine verführerische Geliebte der Fantasie und für Salomon die einzig wahre Begleiterin auf dem Weg zu Weisheit: Die Faulheit.
Dieses Buch umfasst jedoch nicht nur die Sammlung großer Dichter und Denker, die sich der Faulheit und des Müßiggangs hingaben. Es ist auch eine außergewöhnliche Sammlung von Sprichwörtern, Fakten und Kuriositäten rund ums Thema. So erfährt man hier auch, dass Einstein im Schnitt zwölf (!) Stunden schlief und dass die fleißige Biene gerade mal zwanzig Prozent ihrer Lebenszeit mit Arbeit verbringt. Wer zu viel Energie verschwendet, der verkürzt eindeutig vorzeitig sein Leben.
Das Buch ist leider nur antiquarisch zu kaufen. Aber hier gibt es eine schöne Radio-Rezension dazu.
Am Ende unseres Treffens stellen wir fest, dass das Thema Prokrastination und Müßiggang durch alle Zeiten und Medien wabert. So z.B. auch im Instagram-Feed dieser Schriftstellerin: helenredfernwriter.
In diesem Sinne:
„Wer ruhig leben will,
soll nicht vielerlei treiben,
weder im eigenen noch im Staatswesen.“
(Demokrito)